Niemand kann einen Tinnitus sehen. Nur die betroffene Person leidet, was die Akzeptanz für die Erkrankung in der Bevölkerung so schwer macht. Dabei kann ein Tinnitus jeden von uns treffen – plötzlich. Manchmal bleiben unerwünschte Ohrgeräusche, Ohrensausen und Ohrenklingeln sogar ein Leben lang.
Jeder Vierte hat schon einmal unerwünschte Ohrgeräusche in Form eines Tinnitus gehabt, erklärt die Deutsche Tinnitus-Liga. Damit sind Summen, Piepen und Rauschen weit verbreitet in deutschen Ohren. Oftmals bleiben Ohrgeräusche nur kurzzeitig und sind einem bestimmten Auslöser zuzuordnen. Erinnern Sie sich an Ihr letztes Konzert oder die große Party – vermutlich haben Sie im Bett danach auch noch eine Weile ein Pfeifen im Ohr vernommen, das spätestens am nächsten Morgen verschwunden war. Ein Tinnitus kann jedoch auch ein lebenslanger Begleiter werden und die Lebensqualität immens beeinträchtigen.
Subjektiver und objektiver Tinnitus
Der subjektive Tinnitus wird allein vom Betroffenen wahrgenommen. Beim objektiven Tinnitus hat der Hals-Nasen-Ohren-Arzt die Möglichkeit, die Ohrgeräusche mittels spezieller Untersuchungen auch für Dritte hörbar zu machen. Dies allein sagt jedoch noch nichts über den Schweregrad des Tinnitus aus, der in vier Stufen eingeordnet wird.
- Schweregrad 1:das Ohrgeräusch wird gehört, stört aber nicht. Eine Behandlung ist nicht erforderlich.
- Schweregrad 2:der Tinnitus stört beim Einschlafen und völliger Stille. Das Ohrgeräusch kann stressbedingt lauter werden. Noch liegen keine sozialen oder beruflichen Einschränkungen vor. Entspannungsverfahren und Stressreduktion helfen den Betroffenen.
- Schweregrad 3:Betroffene sind so stark belastet, dass sowohl das Privatleben als auch die Einsatzfähigkeit im Arbeitsleben leiden. Betroffene fangen an, sich zurückzuziehen. Die Ohrgeräusche werden als qualvoll empfunden, psychische Symptome und Folgeerkrankungen sind möglich.
- Schweregrad 4:Ein normales Leben ist aufgrund des chronischen Tinnitus nicht mehr möglich. Psychische Folgeerkrankungen wie Depression oder Angst dominieren den Alltag der Betroffenen.
Ab einer Dauer von drei Monaten spricht man von einem chronischen Tinnitus. Eine kürzere Anwesenheit der Ohrengeräusche wird als akuter Tinnitus bezeichnet.
Ursachen für einen Tinnitus
Lärm gilt als der häufigste Auslöser für Tinnitus. Ob Knalltrauma durch Silvesterböller oder eine verschleppte Mittelohrentzündung – die Auslöser für einen Tinnitus sind vielfältig. Nicht selten sind ein Hörsturz/Hörinfarkt, eine Verletzung des Trommelfells oder eine Krankheit wie Morbus Menière (Erkrankung des Innenohrs verbunden mit Drehschwindel) die Ursache für anhaltende Ohrengeräusche. Sehr häufig nennen Betroffene auch emotionalen Stress als Grund. Kann keine eindeutige Ursache für den Tinnitus ausgemacht werden, spricht man von einem idiopatischen Tinnitus.
Behandlung von Tinnitus
Die gute Nachricht: In den meisten Fällen verschwindet der Tinnitus von alleine wieder (Spontanheilung). Sollten die Ohrgeräusche jedoch bleiben, so können sie durch eine entsprechende Behandlung zumindest so erträglich gemacht werden, dass Betroffene gut mit ihnen leben können.
Nicht das Verschwinden des Tinnitus steht bei der Tinnitus-Retraining-Therapie im Vordergrund, sondern vielmehr das Nicht-mehr-bewusst-wahrnehmen des Tinnitus durch die betroffene Person. In Zusammenarbeit mit HNO-Arzt, Psychotherapeut und Hörgeräteakustiker soll dieser Zustand anhand eines individuellen Therapieplans erreicht werden.
Die Behandlung von Tinnitus erfolgt nicht mittels Medikamente, denn es gibt keine speziellen Tinnitus-Medikamente. Lediglich Psychopharmaka können bei starken Beschwerden verschrieben werden. Behandelt werden können nur die Ursachen der Ohrengeräusche. Dabei ist der individuelle Blick auf die betroffene Person wichtig. Eine gesunde Lebensführung und Entspannungsübungen (z. B. Autogenes Training, Meditation) unterstützen Betroffene ebenfalls.
Eine operative Behandlungsmöglichkeit kommt nur in seltenen Fällen in Betracht, z. B. bei einer Otosklerose (Schallleitungsschwerhörigkeit, die durch entzündlich bedingte Immobilität der Mittelohrgehörknöchelchen hervorgerufen wird).
Tinnitus am Arbeitsplatz
Tinnitus ist keine Berufskrankheit. Es gilt jedoch die Lärmbelastung am Arbeitsplatz durch Maßnahmen so gering wie möglich zu halten und die Arbeitnehmer vor Lärm zu schützen:
Technische Maßnahmen
- Konstruktive Maßnahmen an der Schallquelle
- Änderung der Arbeitsverfahren
- Minderung der Lärmausbreitung (Luftschalldämmung)
Organisatorische Maßnahmen
- Lärmminderungsprogramm aufstellen
- Zeitliche Verlegung
- Räumliche Trennung
- Einlegung von Lärmpausen
Persönliche Maßnahmen
- Bereitstellung und Benutzung von Gehörschutz
Bei Tätigkeiten in Lärmbereichen sieht der Gesetzgeber außerdem eine arbeitsmedizinische Vorsorge „Lärm“ vor (früher G 20). Dabei unterscheidet man zwischen einer Angebotsuntersuchung (Lex,8h ≥ 80 dB) und einer Pflichtuntersuchung (Lex,8h ≥ 85 dB). Dies ist in der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge – ArbMedVV geregelt.
Achten Sie auf eine gesunde Lebensweise (gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung) sowie Stressausgleich durch Pausen bzw. Entspannung. Sollten Sie Ohrgeräusche wahrnehmen, wenden Sie sich direkt an einen HNO-Arzt Ihres Vertrauens. Falls bei Ihnen ein Tinnitus festgestellt wird, informieren Sie sich, tauschen Sie sich mit Gleichgesinnten (z. B. in Selbsthilfegruppen über die DTL) aus und ziehen Sie sich keinesfalls zurück. Im Gegenteil: Gehen Sie offen mit Ihrem Tinnitus um.
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Stand: Mai 2020